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20.12.2022

Das neue Bürgergeld

Was ändert sich in der Grundsicherung für Arbeitsuchende?

wallet g65e9bfd14 640Zum 1. Januar 2023 tritt das sogenannte Bürgergeld in Kraft. Es führt das System von "Hartz IV" fort, beinhaltet aber auch einige gewichtige Änderungen und Verbesserungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Das "Bürgergeld" ersetzt die Leistungen "Arbeitslosengeld II" und "Sozialgeld".

Das Bürgergeld-Gesetz wird in zwei Schritten umgesetzt.

Einige Neuregelungen gelten ab dem 1. Januar 2023, andere erst ab dem 1. Juli 2023. Die Jobcenter haben außerdem bis Mitte 2023 Zeit, um ihre Formulare auf das Bürgergeld umzustellen. Bis dahin können sie darin weiter die Begriffe „Arbeitslosengeld II“ und „Sozialgeld“ für das Bürgergeld verwenden.

Das Bürgergeldgesetz wurde auf Betreiben der Union (CDU/CSU) im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat an einigen Stellen gegenüber dem Entwurf der Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für Leistungsberechtigte verschlechtert. Das betrifft vor allem die Karenzzeit bei den Kosten der Unterkunft und bei den Vermögensfreibeträgen sowie die geplante Vertrauenszeit.

  • Nach den Plänen der Ampel-Koalition sollten die Jobcenter nach Beginn des Leistungsbezugs zwei Jahre lang die tatsächlichen Wohn- und Heizkosten der Leistungsberechtigten übernehmen. Jetzt gibt es nur noch eine Karenzzeit von einem Jahr.
  • Bei den Vermögensfreibeträgen sollten ursprünglich zwei Jahre lang 60.000 Euro für die erste Person und 30.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft geschützt sein. Nunmehr sind es 40.000 Euro und 15.000 Euro.
  • Die Union hat auch dafür gesorgt, dass es die geplante Vertrauenszeit nicht geben wird, in der Leistungskürzungen nur bei wiederholten Terminversäumnissen möglich sein sollten. Leistungskürzungen sind nun weiterhin von Beginn des Leistungsbezugs an möglich.

Was ändert sich wann?

Änderungen zum 1. Januar 2023

Die Fortschreibung der Regelbedarfe wird künftig zeitnaher an die zu erwartende Preisentwicklung angepasst.

Die Regelbedarfsstufen steigen zum 1. Januar 2023 wie folgt:

  • für alleinstehende und alleinerziehende Leistungsberechtigte: 502 Euro
  • für zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, jeweils: 451 Euro
  • für sonstige erwerbsfähige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet haben bzw. für erwachsene Leistungsberechtige unter 25 Jahren, die ohne Zusicherung des Jobcenters umziehen: 402 Euro
  • für Jugendliche im 15. Lebensjahr bis unter 18 Jahre: 420 Euro
  • für Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: 348 Euro
  • für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres: 318 Euro

Eine Übersicht über die aktuellen Regel- und Mehrbedarfe, einschließlich der Sätze für kostenaufwändige Ernährung, finden Sie hier zum Download (PDF, 33 KB).

Kommentar: Nach Auffassung der Diakonie, zu der das BALZ als Mitglied gehört, und weiterer Wohlfahrtsverbände sind die Regelbedarfsstufen trotz der Erhöhung zum 1. Januar 2023 weiterhin viel zu niedrig. Um vor Armut zu schützen, hätten die Leistungen nicht um rund 50 Euro, sondern um mindestens 200 Euro angehoben werden müssen. Angesichts der explodierenden Strompreise wäre es außerdem zwingend erforderlich gewesen, die Stromkosten aus den Regelbedarfen herauszunehmen und sie im Rahmen der Kosten der Unterkunft zu übernehmen. Die unzureichenden Geldleistungen sind aus unserer Sicht die größte Schwäche des Bürgergeldgesetzes.

Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf ergibt sich für das erste Schulhalbjahr 2023 eine Erhöhung auf 116 Euro und für das zweite Schulhalbjahr eine Erhöhung auf 58 Euro.

  • Die Angemessenheit der Wohnung wird erst nach 12 Monaten (Karenzzeit) geprüft. Bis dahin werden die tatsächlichen Kosten der Wohnung übernommen. Allerdings: Die Karenzzeit gilt nicht für Bedarfsgemeinschaften, bei denen zuvor schon nur die angemessenen Unterkunftsbedarfe und nicht die tatsächlichen Bedarfe anerkannt waren. Das trifft bei zirka 14 Prozent der Bedarfsgemeinschaften zu.
  • Die Karenzzeit gilt nicht für die Heizkosten. Sie werden nur in voller Höhe als Bedarf anerkannt, wenn sie angemessen für die tatsächliche (nicht für die angemessene) Größe der Wohnung oder des Hauses sind.
  • Wird außerhalb der Karenzzeit eine Wohnung nach den Angemessenheitsregelungen unangemessen teuer, weil ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft stirbt, gilt: Für mindestens 12 Monate nach dem Tod werden noch die vollen Kosten der bisherigen Wohnung übernommen.
  • In den ersten 12 Monaten (Karenzzeit) bleibt das Vermögen bis zu 40.000 Euro für die erste Person der Bedarfsgemeinschaft geschützt. Für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft erhöht sich der Freibetrag um jeweils 15.000 Euro.
  • Nach der Karenzzeit gilt ein Vermögensfreibetrag von 15.000 Euro für jede Person der Bedarfsgemeinschaft.
  • Das die Freibeträge übersteigende Vermögen kann auf andere Mitglider der Bedarfsgemeinschaft übertragen werden.
  • Ein selbstbewohntes Haus oder eine selbstbewohnte Eigentumswohnung wird in der Karenzzeit unabhängig von Größe und Wert nicht als Vermögen angerechnet. Nach der Karenzzeit gelten höhere Grenzwerte als bisher. Selbstbewohnte Eigentumswohnungen von bis zu 130 Quadratmeter und Eigenheime von bis zu 140 Quadratmeter, plus 20 Quadratmeter für jede weitere Person, wenn der Haushalt mehr als vier Personen umfasst, bleiben geschützt, in Härtefällen auch größere Wohnungen oder Häuser.
  • Alle zur Alterssicherung vorgesehenen Versicherungsverträge sind erstmals in unbegrenzter Höhe geschützt.
  • Ein Altersvorsorgevermögen von 8.000 Euro für jedes angefangene Jahr der Selbständigkeit gilt als nicht zu berücksichtigendes Vermögen.

Der sogenannte Vermittlungsvorrang wird abgeschafft, besser gesagt relativiert. Arbeit und Ausbildung gelten künftig als gleichrangig. Damit stehen Weiterbildung und der Erwerb eines Berufsabschlusses stärker im Fokus. Zudem wird der Zugang zu Förderungen tragfähiger Existenzgründungen vereinfacht, da der Vermittlungsvorrang auch hier künftig wegfällt. Bisher hatte die Vermittlung in Jobs, egal wie schlecht entlohnt und prekär sie waren, Vorrang.

  •  Werden Termine ohne wichtigen Grund versäumt, kann der Regelbedarf um 10 Prozent für einen Monat gemindert werden.
  • Werden Mitwirkungspflichten verletzt, kann der Regelbedarf zunächst um zehn Prozent für einen Monat, bei einer zweiten Pflichtverletzung um 20 Prozent für zwei Monate und in der letzten Stufe um 30 Prozent für drei Monate gemindert werden (vorher waren die Sanktionen deutlich höher und galten für drei Monate). Außerdem müssen die Jobcenter außergewöhnliche Härtefälle und die Bereitschaft der Leistungsberechtigten, Pflichtversäumnisse nachzuholen, bei der Verhängung der Sanktion angemessen zugunsten der Leistungsberechtigten berücksichtigen. 
  • Bie Aufstockern darf nicht leistungsmindernd in den Zahlbetrag der KdU sanktioniert werden.

Die von der Ampel-Koalition geplante sanktionsarme Vertrauenszeit – mit Kürzungen nur bei wiederholten Terminversäumnissen – wird es nicht geben, da der Bundesrat dagegen gestimmt hat.

Der Soziale Arbeitsmarkt wird entfristet. Damit wird Menschen, die besondere Schwierigkeiten haben, eine Arbeitsstelle zu finden, eine öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermöglicht. Allerdings kritisieren Sozialverbände, dass die Mittel nicht ausreichend sind und aufgestockt werden müssten.

Bisher hafteten Kinder, die die wegen der Einkommensänderungen ihrer Eltern, Leistungen ans Jobcenter zurückzahlen müssen, beim Eintritt in die Volljährigkeit mit dem Vermögen, das sie zu diesem Zeitpunkt hatten. Eine Beschränkung aufgrund einer Pfändungsschutzgrenze gab es nicht. Künftig haften sie nur noch dann, wenn sie mehr als 15.000 Euro an Vermögen haben.

Ältere erwerbsfähige Leistungsberechtigte können - vorerst bis Ende 2026 - nicht mehr gezwungen werden, vorzeitig in Altersrente zu gehen. Die besiherige Regelung wird probeweise abgeschafft.

Die Sonderregelung, nach der ältere Leistungsberechtigte ab 59 Jahren nach 12 Monaten Leistungsbezug ohne Beschäftigungsangebot nicht mehr als arbeitslos gelten, wird aufgehoben. Aber: Die bisher nicht gezählten über 58-Jährigen werden auch weiterhin nicht in der Arbeitslosenstatistik gezählt.

Bis zur Grenze von 50 Euro pro Bedarfsgemeinschaft werden keine Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mehr erlassen. Die Jobcenter verzichten auf daraus resultierende Rückforderungen.

Kommt es zu einer Leistungsüberzahlung wegen Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, muss diese Überzahlung nicht mehr in einem Betrag erstattet werden. Vorgesehen ist eine Ratenzahlung in Höhe von 10 Prozent des jeweiligen Regelbedarfs.

Änderungen zum 1. Juli 2023

  • Die Freibeträge für alle Erwerbstätigen werden verbessert. Bei einem Einkommen zwischen 520 und 1000 Euro dürfen 30 Prozent davon behalten werden. Das bedeutet bis zu 48 Euro mehr im Geldbeutel als bisher.
  • Junge Menschen dürfen das Einkommen aus Schüler- und Studentenjobs und aus einer beruflichen Ausbildung genauso wie das Taschengeld aus einem Bundesfreiwilligendienst oder Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) bis zur Minijob-Grenze (derzeit 520 Euro) behalten. Das gilt auch in einer dreimonatigen Übergangszeit zwischen Schule und Ausbildung oder Studium.
  • Einkommen aus Schülerjobs in den Ferien bleibt gänzlich unberücksichtigt.
  • Ehrenamtliche können jährlich bis zu 3.000 Euro der Aufwandsentschädigung behalten (vorher maximal 250 im Monat).
  • Die Weiterbildungsprämien für erfolgreiche Zwischen- oder Abschlussprüfungen im Rahmen von berufsabschlussbezogenen beruflichen Weiterbildungen werden entfristet.
  • Neu eingeführt wird ein zusätzliches monatliches Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro für Arbeitslose und Erwerbstätige, die Bürgergeld beziehen, während einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung.
  • Für andere Maßnahmen, die für eine nachhaltige Eingliederung in den Arbeitsmarkt besonders wichtig sind, gibt es einen monatlichen Bürgergeldbonus von 75 Euro.
  • Im SGB III wird der Arbeitslosenversicherungsschutz für Personen, die während einer Weiterbildung Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung erhalten, durch eine längere Mindestrestanspruchsdauer nach Ende der Weiterbildung verbessert.

Das Nachholen eines Berufsabschlusses kann bei Bedarf auch unverkürzt gefördert werden.

Die Förderung für den Erwerb von Grundkompetenzen, zum Beispiel bessere Lese-, Mathematik- oder IT-Kenntnisse, wird erleichtert.

Bürgergeld-Beziehende können ein Coaching in Anspruch nehmen. Das Coaching kann auch aufsuchend, ausbildungs- oder beschäftigungsbegleitend erfolgen.

  • Das Mutterschaftsgeld wird nicht mehr als Einkommen berücksichtigt.
  • Erbschaften zählen nicht mehr als Einkommen, sondern als Vermögen.

Die Höhe von Aufrechnungen bei Darlehen wird auf 5 % des Regelsatzes verringert (vorher 10 %).

Der Kooperationsplan ersetzt die Eingliederungsvereinbarung. Der Kooperationsplan soll gemeinschaftlich von Jobcenter und Bürgergeldberechtigten erarbeitet werden. Er enthält keine Rechtsfolgenbelehrung. Der Kooperationsplan wird schrittweise bis Ende 2023 die auslaufenden Eingliederungsvereinbarungen ablösen. Wenn bei der Erarbeitung des Kooperationsplans Meinungsverschiedenheiten auftreten, kann ein Schlichtungsverfahren gesucht werden.

Bei einer medizinischen Reha muss kein Übergangsgeld mehr beantragt werden, das Bürgergeld wird weitergezahlt.

Erwerbsfähige Bürgergeldberechtigte sind nicht mehr verpflichtet, täglich Briefe persönlich in Empfang nehmen zu können und sich in einem bestimmten Umkreis des Jobcenters aufzuhalten. Es reicht aus, wenn sie in der Lage sind, Mitteilungen und Aufforderungen des Jobcenters an den Werktagen zur Kenntnis zu nehmen (zum Beispiel durch Bekannte, die nach der Post sehen) und zum Jobcenter, einem möglichen Arbeitgeber oder zum Ort einer Integrationsmaßnahme in angemessener Zeit zu kommen.

Das Bürgergeldgesetz zum Nachlesen

Der Verein Tacheles aus Wuppertal hat dankenswerterweise eine Lesefassung des Bürgergeldgesetzes ins Netz gestellt. Dazu war bislang weder das zuständige Bundeministerium noch die Bundesagentur für Arbeit in der Lage.

Zur Lesefassung des Bürgergeldgesetzes für den Bereich des SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende): https://www.tacheles-sozialhilfe.de/files/Aktuelles/2022/SGB-II-Konsolidiert-zum-01-01-2023-V-6.pdf

Update 3. Januar 2023: Inzwischen gibt es das neue SGB II auch im Internet unter www.gesetze-im-internet.de (in der „Titelsuche“ SGB II eingeben). Dort sind die Änderungen ab 1. Juli 2023 allerdings noch nicht enthalten.

Der Artikel zum Download (PDF, 68 KB)